DeutschKlinik und Therapie
Dass Emotionen in der Psychotherapie eine große Rolle spielen, dürfte niemanden überraschen. Es ist üblich, dass Patient*innen aufgrund von unangenehmen Emotionen eine Psychotherapie beginnen. Nichtsdestotrotz wurde der Arbeit mit Emotionen bei vielen therapeutischen Verfahren lange zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Emotionsfokussierte Therapie (EFT) hingegen stellt die Arbeit mit Emotionen in den Mittelpunkt. Wir haben mit den Autor*innen des neuen Bandes „Emotionsfokussierte Psychotherapie“ der Reihe „Fortschritte der Psychotherapie“ über die EFT gesprochen.
Einordnung Emotionsfokussierte Psychotherapie
Frau Herrmann, Herr Auszra, können Sie kurz definieren, was „Emotionsfokussierte Psychotherapie“ ist?
Imke Herrmann:
Ein Psychotherapieverfahren, das sein Hauptaugenmerk auf die Arbeit mit Emotionen legt. Wir gehen davon aus, dass Emotionen eine zentrale Rolle für die Organisation des Erlebens und Verhaltens spielen und der wichtigste Motor für therapeutische Veränderung sind. Aus Sicht der EFT entspringt Veränderung in der Therapie zwei Quellen: Aus korrigierenden emotionalen Erfahrungen in der therapeutischen Beziehung und dem, was man „emotionale Verarbeitung“ nennt.
Was bedeutet emotionale Verarbeitung?
Lars Auszra:
Emotionale Verarbeitung beschreibt die Art und Weise, wie Menschen im geschützten Rahmen der Therapiesitzung von einem Moment zum nächsten mit Ihren Gefühlen umgehen müssen, damit es Ihnen am Ende der Therapie besser geht. Dies sowie die Frage, wie Therapeut*innen eine solche gelingende emotionale Verarbeitung fördern können, hat die EFT intensiv beforscht. Dazu gehört auch, zu schauen, durch welche Abfolge von emotionalen Zuständen Patient*innen über den Verlauf einer Therapie gehen müssen, damit die Therapie hilft.
Imke Herrmann:
Ein zentraler Aspekt ist, dass Menschen mit zuvor vermiedenen schmerzhaften Gefühlen wie Scham, tiefer Angst oder Gefühlen der Verlassenheit in Berührung kommen. Daraus kann dann neues, hilfreicheres Erleben entstehen.
Und wie?
Imke Herrmann:
Indem die Bedürfnisse, die unbefriedigt geblieben sind – schmerzhafte Gefühle formen sich um unbefriedigte Bedürfnisse – wieder ins Bewusstsein geholt werden, quasi auf die innere Tagesordnung. Der Organismus entwickelt dann neue emotionale Antworten wie Traurigkeit und Wut auf alte Probleme, die zu mehr Selbstakzeptanz, einem Gefühl tieferer Verbundenheit oder einem größeren Gefühl der Sicherheit führen.
Für welche Patient*innen ist die EFT indiziert, bei welchen klinischen Phänomenen ist von einer Anwendung abzuraten?
Lars Auszra:
Im Prinzip eignet sich die EFT für alle Patient*innen, die es sinnvoll finden, an und mit ihren Emotionen zu arbeiten. Dabei ist es nicht so wichtig, ob sie bereits einen guten Kontakt mit ihren Emotionen haben. Abzuraten ist dieses Verfahren bei Menschen, die sich von Ihrem Erleben vor allem überflutet fühlen und deren Selbsterleben brüchig ist, wie bei psychotischen Patienten oder Menschen mit schweren Borderline-Störungen.
Arbeit mit Emotionen in der Psychotherapie
Warum haben viele Menschen Probleme mit der Verarbeitung ihrer Emotionen?
Imke Herrmann:
Im Moment dreht sich die Kultur ein wenig und Gefühle, gerade auch verletzliche, werden zunehmend als Quelle von persönlicher Weiterentwicklung und von Verbundenheit gesehen. Das war aber sehr lange nicht so, und Gefühle, vor allem schmerzhafte, galten eher als hinderlich. Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind noch in der Kultur aufgewachsen, in der Gefühle wenig Wertschätzung und Bestätigung erfahren haben.
Denken Sie, dass es für jeden Menschen – auch ohne das Vorliegen einer psychischen Störung – sinnvoll wäre, sich mehr mit den eigenen Emotionen und deren Verarbeitung auseinanderzusetzen?
Imke Herrmann:
Ja, klar. Jeder Mensch kann von einem besseren Umgang mit seinen Emotionen profitieren. Emotionale Intelligenz korreliert stark mit persönlicher Zufriedenheit, Gesundheit und auch beruflichem Erfolg. Die allermeisten Menschen haben aufgrund schmerzhafter Erfahrungen zudem emotionale Achillesfersen entwickelt, die später die Weiterentwicklung und Zufriedenheit behindern können. Die EFT kann helfen, deren Einfluss zu mildern oder gar aufzuheben.
Woran liegt es, dass Emotionen in der Psychotherapie bisher keine größere Rolle gespielt haben?
Lars Auszra:
Gefühle haben durchaus eine Rolle gespielt, aber eben nicht als Quelle oder Motor der Veränderung, sondern als etwas, das es zu verändern gilt. Als zu beseitigende Symptome waren sie immer schon präsent. Das liegt einmal an der Kultur, in der Gefühle vorwiegend als störend wahrgenommen wurden und in der es um rasche Lösungen geht, und zum anderen an der schwierigen Beforschbarkeit von Emotionen und emotionalen Prozessen. Die waren lange in der „Black Box“.
Mit welchen Argumenten lassen sich noch skeptische Therapeut*innen von der EFT überzeugen?
Imke Herrmann:
Nahezu alle Kolleg*innen teilen die Erfahrung, dass Menschen das tun, wonach sie sich fühlen; und nicht unbedingt das, von dem sie wissen, dass es gut für sie wäre und wozu sie eigentlich die Fertigkeiten hätten. Daher stoßen kognitive und verhaltensbezogene Interventionen sehr oft an ihre Grenzen. Veränderung ergibt sich häufig nur dann, wenn man direkt daran arbeitet, wie Menschen sich fühlen. Um ihren Patient*innen hier noch besser helfen zu können, kommen die Kolleg*innen zu uns in die Weiterbildungen.
Lars Auszra:
Viele Kolleg*innen, die EFT lernen, sagen so etwas wie: „Endlich arbeite ich mit meinen Patient*innen am Kern, an dem, worum es eigentlich geht, und ich fühle mich selber viel lebendiger in der Therapie.“
Stuhl-Interventionen in der Emotionsfokussierten Psychotherapie
Stuhl-Interventionen bilden die tragenden Säulen in der Emotionsfokussierten Therapie. Sie gelten als stark emotional aktivierende Interventionen. Was macht Stuhldialoge aus und warum sind sie so erfolgreich?
Lars Auszra:
Die EFT hat Stuhldialoge nicht erfunden, aber so intensiv beforscht wie kein anderer Ansatz. Stuhldialoge erlauben, systematisch an der Aktivierung, Akzeptanz und Veränderung von schmerzhaften Gefühlen zu arbeiten. Im Dialog mit einem vorgestellten Gegenüber – sei es eine andere Person (wie ein Elternteil) oder ein anderer Selbstanteil (wie eine kritische Stimme) – entfaltet sich dieser Prozess ganz anders, als wenn man mit einem Therapeuten nur darüber redet. Das hat vor allem damit zu tun, dass der Dialog den Ausdruck von Gefühlen und Bedürfnissen fördert, was, anders als das bloße Reden, eine Form der Handlung darstellt. Dadurch werden die alten vertrauten schmerzhaften Gefühle, die wir verändern wollen, stärker aktiviert und neue, alternative, hilfreichere Gefühle wirkungsvoller mobilisiert.
Frau Herrmann, Herr Auszra, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Dr. Imke Herrmann
Dr. Imke Herrmann. 1998 bis 2004 Studium der Psychologie an der Universität Oxford und der Ludwig-Maximilians Universität München. 2003 Forschungsaufenthalt und 2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Leslie Greenberg an der York University in Toronto Canada. 2006 Gründung und Leitung des Deutschen Instituts für Emotionsfokussierte Therapie (IEFT). Seit 2007 als Dozentin, Lehrtherapeutin und Supervisorin in der Fort- und Weiterbildung von Therapeut*innen tätig. 2010 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin. 2012 Promotion. Seit 2011 niedergelassen in eigener Praxis in München.
Dr. Lars Auszra
Dr. Lars Auszra. 1998 bis 2004 Studium der Psychologie an der katholischen Universität Eichstätt und der Ludwig-Maximilians Universität München. 2003 Forschungsaufenthalt und 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Leslie Greenberg an der York University in Toronto Canada. 2006 Gründung und Leitung des Deutschen Instituts für Emotionsfokussierte Therapie (IEFT). Seit 2007 als Dozent, Lehrtherapeut und Supervisor in der Fort- und Weiterbildung von Therapeut*innen tätig. 2009 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. 2011 Promotion. Seit 2011 niedergelassen in eigener Praxis in München.
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